Der Landesrechnungshof Schleswig-Holstein hat im Jahr 2024 erstmals die Unterrichtsversorgung und -organisation an den Gemeinschaftsschulen des Landes überprüft. Dieser Bericht legt offen, welche Herausforderungen Schulen in der Praxis zu bewältigen haben und gibt konkrete Handlungsempfehlungen für die Zukunft.
Exkurs: Was ist der Landesrechnungshof und welche Aufgaben hat er?
Der Landesrechnungshof ist eine unabhängige Institution, die als oberste Rechnungsprüfungsbehörde eines Bundeslandes agiert. Seine Hauptaufgabe ist die Überwachung der wirtschaftlichen und rechtmäßigen Verwendung öffentlicher Mittel. Dabei prüft der Landesrechnungshof, ob die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Verwaltung effizient, sparsam und im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften erfolgt. Er erstellt Berichte über seine Prüfungen und legt diese dem Landtag vor, um die öffentliche Finanzkontrolle und Transparenz zu gewährleisten. Die Empfehlungen des Landesrechnungshofs sind ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Verwaltungspraxis und dienen dazu, Schwachstellen aufzudecken und Optimierungen anzuregen.
1. Prüfungsgegenstand
Die Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein wurden als Schulart zum ersten Mal genauer betrachtet. Im Jahr 2022 flossen etwa 500 Millionen Euro in das Personal von 180 Gemeinschaftsschulen, darunter 44 mit einer eigenen Oberstufe. Der Bericht untersucht die spezielle Situation dieser Schulen, die oft mit sehr unterschiedlichen Klassengrößen und einer ungleichen Verteilung der Lehrkräfte konfrontiert sind.
2. Unterrichtsversorgung - Anspruch und Wirklichkeit
- Zielsetzung: Das Bildungsministerium plante eine Bedarfsdeckung von 102 bis 103 %. Dabei wurden jedoch alle Lehrkräfte-Stellen gezählt, unabhängig davon, ob diese tatsächlich besetzt waren.
- Ergebnisse der Stichprobe: Bei einer Untersuchung von 19 Gemeinschaftsschulen kam der Landesrechnungshof auf eine durchschnittliche Unterrichtsversorgung von 96,7 %. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Schulen, mit Werten von 90,4 % bis 101,4 %. Dies verweist auf erhebliche Defizite in der Ressourcenverteilung.
- Unterschiede in den Fachbereichen: Während die Hauptfächer Deutsch (101,3 %), Mathematik (100,9 %) und Englisch (98,2 %) gut abgedeckt sind, gibt es bei anderen Fächern deutliche Defizite:
- Naturwissenschaften: 94,6 % der Unterrichtsstunden konnten hier erteilt werden, oft durch fachfremde Lehrkräfte.
- Ästhetische Bildung und Sport: Hier wurden nur 83 % der vorgesehenen Stunden abgedeckt.
- Arbeit, Wirtschaft und Verbraucherbildung: Nur knapp die Hälfte der Stunden (49,8 %) konnte tatsächlich erteilt werden.
- Wahlpflichtfächer in höheren Klassen: In diesen Bereichen lag die Abdeckung noch niedriger, etwa bei 44,8 % im Wahlpflichtbereich II.
- Fokus auf Hauptfächer: Die Konzentration auf die Hauptfächer, die eine solide Grundlage für Schüler bieten, wird als sinnvoll erachtet. Doch es zeigt sich, dass eine dauerhafte Unterversorgung in bestimmten Nebenfächern langfristige Auswirkungen haben könnte.
3. Unterrichtsorganisation und -strukturen
- Klassengrößen: Die durchschnittliche Klassengröße wurde in zwei Varianten berechnet:
- Ohne doppelte Zählung der inklusiv beschulten Kinder (Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf): Die durchschnittliche Klassengröße lag hier bei 22,6 Schüler*innen.
- Mit doppelter Zählung der inklusiv beschulten Kinder: Durch diese Berechnung stieg die durchschnittliche Klassengröße auf 24,7. Diese Zahl kommt der vom Bildungsministerium geplanten Klassengröße von 25 sehr nahe.
- Doppelbesetzungen und Differenzierung: Einige Schulen setzen in anspruchsvollen Klassen eine Doppelbesetzung mit zwei Lehrkräften ein. Der Landesrechnungshof empfiehlt, in diesen Fällen statt einer zweiten Lehrkraft eher pädagogische Fachkräfte, wie Sozialpädagogen, einzusetzen. So könnte die knappe Ressource „Lehrkraft“ gezielter eingesetzt werden.
4. Lehrkräfteversorgung und Mangelfächer
- Lehrkräftemangel: Viele Gemeinschaftsschulen beklagen einen spürbaren Mangel an Fachlehrkräften, besonders in Musik, Physik, Informatik und Chemie. Auch Lehrkräfte für Religion, Kunst und Englisch fehlen oft.
- Studierende als Ersatz: In vielen Fällen werden Studierende eingesetzt, um den Unterrichtsbedarf abzudecken. Langfristig ist dies jedoch keine Lösung und stellt nur eine Überbrückung dar.
- Herausforderung steigender Schülerzahlen: Durch Geburtenanstieg und Zuwanderung wird die Schülerzahl in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Ohne geeignete Maßnahmen könnte sich die Versorgungslücke weiter verschärfen.
5. Empfehlungen und Ausblick
- Effizientere Klassenbildung: Der Landesrechnungshof betont die Notwendigkeit, die Klassenbildung an großen Schulen besser zu organisieren, um Ressourcen effizienter zu nutzen. Beispielsweise hätte man durch eine Reduktion von 18 Klassen eine spürbare Verbesserung erreichen können, ohne dabei die Klassengrößen stark zu erhöhen.
- Stellenreserve und Quereinsteiger: Eine Stellenreserve könnte helfen, Unterrichtsausfälle bei unerwarteten Engpässen aufzufangen. Zudem empfiehlt der Landesrechnungshof die verstärkte Nutzung von Quereinsteigern. Qualifizierte befristet beschäftigte Lehrkräfte könnten übernommen werden, wenn sie sich bewährt haben.
- Anpassung der Stundentafel: Der Bericht schlägt eine Überarbeitung der Stundentafel vor, um den Bedürfnissen der Gemeinschaftsschulen besser gerecht zu werden. So könnten z. B. Klassenlehrerstunden und praxisorientierte Fächer stärker berücksichtigt werden.
Schlussfolgerung
Der Bericht zeigt deutlich, wie komplex die Herausforderungen an den Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein sind. Neben einem Mangel an Fachkräften gibt es große Unterschiede in der Klassengröße und Unterversorgung in vielen Nebenfächern. Die Empfehlungen des Landesrechnungshofes zielen darauf ab, durch eine klügere Nutzung der vorhandenen Ressourcen und eine bessere Organisation die Unterrichtsqualität zu sichern. Ein optimierter Einsatz von multiprofessionellen Teams und die Einbindung von Quereinsteigern könnten die Situation langfristig stabilisieren und für eine zukunftssichere Versorgung sorgen.